“Voting by Feet” der Weg in die Eigenverantwortung

Ausgangslage

Wer richtig hinschaut, wird erkennen, dass unser Altersvorsorgesystem vor gewaltigen Herausforderungen steht. Sinkende Geburtenraten, steigende Lebenserwartung, tiefe Zinsen und Inflation kombiniert mit dem Unwillen der Politik diese Probleme anzupacken und mit zielführenden Lösungen langfristig zu beheben. Dies gefährdet nicht nur die Leistungsversprechen für die jüngeren Erwerbstätigen. Auch die Altersrenten sind unter diesen Umständen keineswegs gesichert.

Die Politik scheut sich davor wirksame und somit einschneidende Massnahmen umzusetzen. Die Medien nutzen jeden Silberstreifen am Horizont, um die langfristigen Probleme für gelöst zu erklären und jeden Reformversuch als Rentenklau und Benachteiligung der armen Rentner zu diffamieren.

Die Gesellschaft zeigt dadurch auch keine Bereitschaft sich vom aktuellen Besitzstand (Rentenalter, Umwandlungssatz) zu verabschieden. Jede noch so kleine Korrektur der massgebenden Parameter der Altersvorsorge muss mit Kompensationsmassnahmen abgefedert werden. Die Frage nach der Bedürftigkeit des zukünftigen Rentners wird dabei nicht gestellt. Es wird grosszügig mit der Giesskanne verteilt und gehofft, dass irgendwann irgendwer die Probleme der Altersvorsorge definitiv lösen wird.

Wird in Kürze nichts unternommen wird sich in nicht so ferner Zukunft das gesamte Altersvorsorgesystem der Schweiz als grosse Illusion entpuppen.

Wollen Sie wirklich darauf warten, dass die Politik die anstehenden Probleme rechtzeitig mit wirksamen Reformen löst? Wenn Sie nicht daran glauben, dann werden Sie selber aktiv und übernehmen Verantwortung für Ihre Vorsorge. Voting by Feet heisst, dass Sie den Rahmen verlassen, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern.

Voting by Feet beim Pensionskassenmodell?

Beachten Sie bitte, dass hier nur Denkanstösse gegeben werden können. Konkrete Handlungsanweisungen kann man nur nach einer genauen Analyse der individuellen Situation geben. Unser Handlungsspielraum ist im Bereich der beruflichen Vorsorge etwas eingeschränkt. Trotzdem können wir zum Beispiel durch die Wahl eines geeigneten Pensionskassenmodells mehr Eigenverantwortung übernehmen und dadurch die Auswirkungen der Inflation, der unrechtmässigen Umverteilung und des Reformstaus in der Politik reduzieren.

Nehmen wir als Beispiel das Vollversicherungsmodell.

Der grösste Vorteil dieses Modells ist, dass sämtliche Risiken des Vorsorgewerks inkl. Anlagerisiken durch eine Versicherungsgesellschaft gedeckt werden. Der Leistungsanbieter garantiert zu jeder Zeit den Nominalwert der Altersguthaben und die gesetzliche Mindestverzinsung für die obligatorischen Vorsorgevermögen. Auf den ersten Blick ein richtiges „Rundum-Sorglos-Paket“. Nach dem Abschluss muss man nur noch die jährlichen Beiträge überweisen und man kann sich voll und ganz auf das Kerngeschäft konzentrieren.

Diese Garantien haben jedoch Ihren Preis in Form

  • einer systematisch tiefen Verzinsung der Vorsorgeguthaben. Aus regulatorischen Gründen investieren Vollversicherungsanbieter nur in risikoarme Anlagestrategien und erreichen somit eher tiefe Renditen. Dementsprechend wurden die obligatorischen Vorsorgeguthaben in der Vergangenheit nur mit dem gesetzlichen Mindestzins und die überobligatorischen Guthaben mit Zinssätzen unter 1% verzinst (z.B. im 2021 mit 0.125% bis 0.25%). Einen Teil der mageren Renditen muss zudem noch zur Finanzierung der Verrentungsverluste herangezogen werden.

  • von Realwertverlusten bei Inflation. Die Altersguthaben sind reine Nominalwertansprüche und somit von den negativen Auswirkungen der Inflation betroffen.

  • von höheren Risikoprämien und Verwaltungskosten.

  • von strengen Annahmerichtlinien, die dafür sorgen dass nur jüngere Versichertenbestände aus bestimmten Branchen (tiefere Risiken) aufgenommen werden.

Kunden mit einer Vollversicherungslösung verzichten somit auf eine angemessene Verzinsung, erreichen bis zur Pensionierung viel tiefere Vorsorgevermögen und sind dadurch dem Inflationsrisiko besonders stark ausgesetzt. Sammelstiftungen mit diesem Versicherungsmodell haben zudem besonders viele Vorsorgewerke mit reinen BVG-obligatorischen Vorsorgeplänen. Versicherte in Vorsorgewerken mit gut ausgebauten Vorsorgeplänen und mit hohen überobligatorischen Vermögen, sind somit besonders stark von der unrechtmässigen Umverteilung zur Finanzierung des zu hohen obligatorischen Umwandlungssatzes betroffen.

Beispiel aus dem realen Leben

Ein Kollege aus dem Private Banking hatte einen CEO eines KMU zu einem Gespräch zum Thema Vorsorge eingeladen. Ich wurde als BVG-Fachspezialist zugezogen. Sämtliche Mitarbeiter des KMU sind gut ausgebildete Spezialisten mit gutem Fachwissen im Bereich Wirtschaft und Finanzen. Die meisten Kadermitarbeiter hatten bereits hohe sechsstellige und der CEO sogar ein siebenstelliges Altersguthaben.

Die berufliche Vorsorge dieser Firma bestand aus einer umhüllenden Vollversicherungslösung (obligatorische und überobligatorische Leistungen in einem Vorsorgeplan).bei einer grossen Versicherungsgesellschaft. Entsprechend erzielten die Versicherten in den vorangegangenen Jahren eine mehr als magere Verzinsung auf dem Vorsorgevermögen.

Schematische Darstellung einer umhüllenden Vorsorgelösung. Obligatorische und überobligatorische Leistungen sind in einem einzigen Vorsorgeplan zusammengefasst.

Paradoxerweise lies der CEO sein Privatvermögen von Profis verwalten und hatte hohe Ansprüche an den Vermögensverwalter. Sein Vorsorgevermögen hatte er jedoch vollständig ausgeblendet, als wäre das nicht auch sein Vermögen. Das Thema BVG nahm er als etwas Schicksalhaftes wahr und wollte möglichst keine Zeit damit verschwenden. Erst als ich ihn auf die Besitzverhältnisse angesprochen habe, wurde ihm klar, dass er und seine Mitarbeiter jahrelang auf viele zehntausend Franken Kapitalerträge verzichtet hatten.

Schlussendlich hat sich die Firma für folgende Kompromisslösung entschieden:

  • Die BVG-Basislösung blieb weiterhin als Vollversicherungslösung bei der selben Versicherungsgesellschaft bestehen, jedoch nur bis zu einem massgebenden Jahressalär von CHF 129’060 (Eintrittschwelle für 1e-Lösungen).

  • Für übersteigende Lohnteile wurde eine 1e-Lösung gewählt. Ein grosser Teil der überobligatorischen Altersguthaben (proportional zu den versicherten Löhnen) wurde in diese 1e-Lösung transferiert.

Schematische Darstellung einer “gesplitteten” Lösung. Überobligatorische Leistungen werden in einem separaten Plan bei einer anderen Stiftung versichert.

Folgende Ziele wurden mit dieser Neustrukturierung erreicht:

  • Die Mitarbeiter, welche nicht im Kader waren, konnten weiterhin in der ihnen bekannten, sicheren Vollversicherungslösung bleiben. Sie haben jedoch verstanden, dass sie die gewährte Sicherheit mit einer sehr tiefen Verzinsung der Altersguthaben „bezahlen“.

  • Die Kadermitarbeiter konnten einen grossen Teil ihrer überobligatorischen Vorsorgevermögen in eine ihrer Risikoneigung und Risikofähigkeit entsprechende Anlagestrategie investieren. Es stehen dafür bis zu 10 Anlagestrategien zur Auswahl.

  • Die Kadermitarbeiter können somit langfristig mit deutlich höheren Kapitalrenditen rechnen und erreichen somit mit grosser Wahrscheinlichkeit höhere Altersleistungen.

  • Schutz des 1e-Vorsorgevermögens vor den schädlichen Auswirkungen der Inflation (Investition in Realwerte).

  • Schutz des 1e-Vorsorgevermögens vor unrechtmässiger Umverteilung. 1e-Stiftungen sehen in der Regel keine Altersrenten vor (nur Kapitalleistungen) und somit kann kein zu hoher Umwandlungssatz zur Anwendung kommen.

Drum prüfe, wer sich (ewig) bindet

Ob sich das Herz zum Herzen findet! Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.

Nach Friedrich Schiller heisst das nun nicht, dass man jetzt rasch zu irgendwelchen Wertschriftenlösungen mit möglichst hohen Aktienanteil wechseln soll. Ein solcher Schritt muss genau überlegt werden und darf erst nach einer sorgfältigen Risikoprüfung erfolgen. Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre haben einige Vorsorgewerke sehr schlechte Erfahrungen mit einer überstürzten Änderung des Vorsorgemodells gemacht. Viele wussten danach aus eigener Erfahrung was Unterdeckung und Sanierungsmassnahmen bedeuten.

Falls Sie nach sorgfältiger Prüfung zum Schluss kommen, dass Sie für Ihr Vorsorgewerk mehr Eigenverantwortung übernehmen wollen, achten Sie bitte auf Folgendes:

  • Wählen Sie eine seriöse Vorsorgestiftung mit langjähriger Erfahrung bei der gewählten Vorsorgelösung (1e, Separate Account, etc.)

  • Falls Sie die Wahl haben, entscheiden Sie sich für einen erfahrenen Vermögensverwalter mit Erfolgsnachweis bei der Verwaltung von Vorsorgevermögen.

  • Achten Sie auf die Stiftungsgebühren und Vermögensverwaltungskosten. Diese dürfen nicht zu hoch sein und müssen im Verhältnis zur erbrachten Leistung stehen. Je individueller die Anlagemöglichkeiten und -beratung sind, desto höher dürfen die Vermögensverwaltungskosten sein und umgekehrt.

  • Fragen Sie auch nach „versteckten“ Kosten (Transaktionsgebühren, Kosten bei Währungstransaktionen).

  • Achten Sie generell auf ein möglichst transparentes Gebührenmodell.

Fazit

Voting by Feet muss nicht heissen, dass man die bestehende Vorsorgelösung sofort und vollständig auf den Kopf stellen muss. Schon mit kleinen Schritten kann man mehr Eigenverantwortung übernehmen und die schädlichen Auswirkungen der unrechtmässigen Umverteilung, der mageren Verzinsung und der Inflation reduzieren.

Die Trennung von obligatorischer und überobligatorischer Vorsorge ist (im Moment noch) ein wirksames Instrument, um unser Vorsorgevermögen wenigstens zum Teil vor der schädlichen Wirkung einer falschen Politik zu schützen.

Falls Sie Fragen haben oder Unterstützung bei der Umstrukturierung Ihrer Vorsorgelösung brauchen, stehe ich Ihnen sehr gerne zur Verfügung.

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